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23.09.2022

Es ist einfach anders

Simon Ufer aus Zittau hat im Rahmen seines Praxissemesters die Arbeit mit alkohol- und drogenabhängigen Menschen in Deutschland und Südafrika kennengelernt. In seinem Bericht vergleicht er beide Therapien

Mein Name ist Simon, ich studiere derzeit Soziale Arbeit und habe nun das vierte Semester abgeschlossen. Dieses Semester war etwas anders als meine bisherigen Semester, denn es war ein Praxissemester, für mich mit dem Fokus auf der Arbeit mit alkohol- und drogenabhängigen Menschen. Diesbezüglich habe ich in den Monaten März und April in einem Verein (come back e.V.) in meiner Heimatstadt, Zittau, gearbeitet. Ab Mai hatte ich die unglaubliche Möglichkeit, nach Johannesburg in Südafrika zu gehen, um dort für drei Monate ebenfalls in diesem Arbeitsfeld zu arbeiten. Somit hatte ich die Chance, die Arbeit mit alkohol- und drogenabhängigen Menschen in zwei verschiedenen Ländern auf zwei verschiedenen Kontinenten miteinander in den Vergleich zu setzen.

Unterschiedliche Lebensumstände

Direkt an meinem ersten Tag wurde mir klar, dass die Diskrepanz zwischen der Suchttherapie in Deutschland und der in Südafrika größer ist als gedacht. Denn die Gründe, die in Südafrika zu einer Sucht führen, sind schlicht und ergreifend anders. Die Menschen leben hier unter völlig anderen finanziellen Umständen, welche wiederum zu gesellschaftlichen und sozialen Problemen führen, wie wir sie so in Deutschland nicht haben. Hier zwei Beispiele für einen besseren Einblick:

  • Die Arbeitslosenquote in Deutschland beträgt 4,9%. In Südafrika beträgt sie 34,5% (Unter den 15- bis 24-Jährigen sogar 63,9% und unter den 25-34 Jährigen 42,1%)
  • Das soziokulturelle Existenzminimum (Hartz IV) beträgt in Deutschland 449 € (für Alleinstehende) + KDU (Kosten der Unterkunft; das umfasst Kaltmiete, Nebenkosten sowie die Heizkosten). Wenn man in Südafrika keinen Job hat bekommt man von der Regierung ganze 350 Rand. Das sind umgerechnet 20,77 €

Es ist nachvollziehbar, dass die Auswirkungen dieser finanziellen Rahmenbedingungen gravierend sind. Menschen haben nicht genug Geld für Essen, sowohl für sich selbst als auch für die Mägen ihrer Kinder und leben entweder in einer Blechhütte oder mit drei Familien zusammengepfercht in einer Wohnung, welche eigentlich für eine Familie vorgesehen ist. Dass dies zu Kriminalität, Frustration, Ziel- und Aussichtslosigkeit und vielem mehr führt, kann man sich sicher auch vorstellen. »Many people abuse drugs because there is nothing else for them.« [Viele Menschen nehmen Drogen, weil es für sie nichts anderes gibt.] Dies ist ein Zitat von Drogenexperte Dr. Sam Howell über Eldorado Park (den Stadtteil, in dem ich hauptsächlich gearbeitet habe) und es fasst die Situation gut zusammen.

Verschiedene Arten von Heilbehandlung

Ein weiterer großer Unterschied in der Therapie für alkohol- und drogenabhängige Menschen besteht in den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, der Finanzierung und in der Struktur beider Länder. An meinem ersten Tag in Südafrika fragten mich die Mitarbeiter und die Klienten, ob ich ihnen erzählen kann, wie die Therapie in Deutschland für Alkohol- und Drogenabhängige abläuft. Also erzählte ich ihnen, wie die Struktur in Deutschland ist und wie die Abläufe bei uns sind. Ich fühlte mich etwas schlecht und es tat mir fast schon ein bisschen weh, diesen Menschen zu erzählen, dass man in Deutschland jahrelang kostenlos Therapie machen kann und während dieser Zeit dauerhaft etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf hat. Wenn man die Therapie abgeschlossen hat, geht man entweder arbeiten oder man bekommt vom Staat Geld für das alltägliche Leben und für die Wohnung. Um fern von seinem alten, drogenbestimmenden Umfeld zu bleiben, kann man auch relativ unkompliziert in eine andere Stadt ziehen.

Begrenztes Angebot in Südafrika

Grund für mein Unwohlsein bei meiner Erzählung war der, dass es in Südafrika ganz anders läuft. In der Provinz Gauteng, hauptsächlich geprägt durch die zwei großen Städte Johannesburg und Pretoria, leben etwa 15,8 Millionen Menschen (Stand: Juni 2021). Für eine stationäre sechs- bis achtwöchige Therapie für Alkohol- und Drogenabhängige stehen in der gesamten Provinz nur 1.183 Betten (Stand: Juni 2022) zur Verfügung (und davon sind nur 132 für Frauen). Die einzige andere Möglichkeit, eine Therapie zu machen, ist dafür zu bezahlen, und damit in einer privaten Einrichtung. Doch hier liegt der Startpreis für einen Therapieplatz bei 3.500 Rand (210 €) und kann bis zu 50.000 Rand (3.000 €) kosten, je nachdem, zu welcher Einrichtung man geht. Wie soll jemand, der keinen Job hat und von der Regierung 350 Rand im Monat für Essen und Wohnen bekommt, diese Summe aufbringen? Es ist also nicht leicht, an einen Therapieplatz zu kommen. Und wenn man einen bekommt, dann beträgt die Therapiezeit meistens nur sechs bis acht Wochen. Wie soll jemand, der die letzten 10 bis 20 Jahre Drogen konsumiert hat nach nur acht Wochen Therapie zurück in seinem alten drogendurchzogenen Umfeld all seine alten und für ihn bisher normalen Verhaltensweisen ablegen?

Simon Ufer im Therapiezentrum in Südafrika

Es ist einfach anders

Doch zwischen all diesen vorherrschenden negativen Umständen in Südafrika ist mir schnell etwas sehr Beeindruckendes aufgefallen: Die Klienten. Die meisten von ihnen haben Dinge in ihrem Leben erlebt, die wir uns als Deutsche kaum vorstellen können. Sie befinden sich in einer Position, aus der ein Ausweg sehr schwer erscheint. Viele der Menschen, mit denen ich arbeitete, schienen trotzdem sehr gewillt und motiviert, etwas zu ändern und waren trotz alledem glücklich, zuversichtlich und fest verankert im Glauben an Gott. Es war eine Arbeitsatmosphäre, wie ich sie so in Deutschland noch nicht erlebt habe, denn es wurde viel gesungen und gelacht und es herrschte nahezu dauerhaft eine positive Energie im Raum.

Dankbar für die Erfahrungen

Insgesamt war diese Auslandserfahrung für mich sehr bereichernd. Ich habe viel gelernt und hautnah miterlebt, wie Menschen unter völlig anderen Umständen leben, als ich sie aus dem vertrauten und wohlbehüteten Deutschland gewohnt bin. Aus diesen Umständen entstehen Komplikationen und Probleme, wie ich sie so noch nicht gesehen hatte. Jeder Tag war anders und es war eine unglaubliche Erfahrung, hautnah mitzuerleben wie die Menschen in Südafrika leben und was das Wort »Alltag« für sie bedeutet. Vieles fühlte sich für mich einfach sehr surreal an, wie in einer Dokumentation, doch ich war mittendrin. Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit und die vielen Erfahrungen. Danke an die EmK-Weltmission, dass sie mich hierbei unterstützt hat.
                                                                                                                                                                                                                   Simon Ufer