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28.10.2010

Besuch aus Sowjetsk

Die EmK-Gemeinde in Tübingen plante schon seit einiger Zeit eine Partnerschaft mit der EmK-Gemeinde in Sowjetsk (ehem. Tilsit, Kaliningrad-Gebiet, Russische Föderation) Im Juli 2010 war es endlich soweit: Pastor Jozas Bauzha und seine Frau Viktoria besuchten die Gemeinde in Tübingen. Lesen Sie hier einen Bericht von Boris Kotchoubey über den Besuch in seiner Gemeinde und erfahren Sie etwas über die Arbeit des Pastorenehepaars in Sowjetsk

Pastor Jozas Bauzha (rechts) und Superintendent Andrej Kim (Foto: Uwe Hanis)

Da wir zuvor nur brieflich und in russischer Sprache in Kontakt gestanden hatten, und die Kommunikation zwischendurch immer wieder stockte, haben wir viele Informationen über unsere Besucher und über die Gemeinde in Sowjetsk erst im Verlauf des Besuchs erhalten, z.B. dass unsere Gäste nicht Englisch sprechen und dass sie ihren Dienst in der Gemeinde ehrenamtlich tun. Jozas muss seine Brötchen woanders verdienen – und das im wörtlichen Sinn: Er arbeitet täglich von 7 bis 14 Uhr als Fahrer bei einer Großbäckerei. Der frühe Feierabend lässt ihm Zeit, in der Gemeinde tätig zu sein und auch sein Fernstudium am Seminar in Moskau zu machen. Im Frühjahr 2011 soll er seine Diplomarbeit vorlegen, in der er die Theologie John Wesleys mit der orthodoxen Theologie vergleicht. Viktoria, die in der Gemeinde die Jugendarbeit leitet, arbeitet als Mathe-Lehrerin am Gymnasium.

Methodistische Gemeinden sind in Sowjetsk, Kaliningrad und in Melnikovo

Sowjetsk liegt am Fluss Neman (Memel), wenige Kilometer von der Grenze nach Litauen. Pastor Jozas stammt aus einer litauischen katholischen Familie. Er wohnte schon lange in Sowjetsk, als er hörte, dass es eine Gemeinde gäbe, wo als Pastorin eine Frau dient. Darüber war er so aufgebracht, dass er zu dieser Pastorin ging (das war Natalia Botewa, von der wir auch einmal berichtet haben; und die heute in einer größeren Gemeinde in Woronesch im Süden Russlands dient), um ihr anhand der entsprechenden Bibelstellen zu beweisen, dass sie als Frau dieses Amt nicht besetzen darf. Aus der Diskussion entstand ein tiefes Interesse sowohl an der Pastorin und ihrer Arbeit, als auch – vor allem – an Gott, für den offensichtlich viel mehr möglich ist, als Jozas davor geglaubt hatte. Er fing an, in der Gemeinde zu arbeiten, und spürte schließlich den Wunsch, Theologie zu studieren, um Pastor zu werden. Das erschien ihm selbst sonderbar. Immer wieder hatte er Zweifel an seiner Berufung. Eine Stimme – die des Teufels? – sagte zu ihm: „Du kannst nicht Pastor werden! Du hast kein Recht, anderen zu predigen und sich um ihre Seele zu kümmern, weil du genau so ein Mensch bist wie die anderen! Weil deine eigene Seele nicht besser ist als die der anderen, weil du ein noch größerer Sünder bist!“ Dreimal fasste er den Beschluss, ein Theologiestudium anzufangen, und zweimal brach er ab. Beim dritten Mal bat er vor der Abreise zum Seminar nach Moskau den Pastor um Gottes Segen. Bei diesem Segen spürte er sofort eine Ruhe und bekam Gewissheit, dass er, obwohl er ein Mensch ist wie die anderen, die Berufung, Gottes Wort zu verkündigen, annehmen darf, weil es an Gott liegt und nicht an seinen Eigenschaften. Seit diesem Augenblick verschwand der Zweifel für immer.

Wegen der Arbeit als Fahrer bzw. Lehrerin kann das Ehepaar Bauzha seinen Urlaub manchmal nur sehr kurzfristig bekommen. So war es auch diesmal, weshalb sie keine Zeit hatten, günstigere Flüge auszusuchen. Deshalb entschlossen sie sich zur Autofahrt über Polen. Die Route von 1800 km ist Jozas in 36 Stunden gefahren und war am Freitagnachmittag schon bei uns.

Obwohl der Besuch aus den schon angegebenen Gründen ziemlich kurz war (4 Tage), haben die Bauzhas einiges gesehen. Sie nahmen in unserem Gottesdienst am 18.Juli teil, besuchten den Solartag, die Theologische Hochschule Reutlingen, wo Ulrike Knoller das Archiv der EmK Deutschland zeigte, das Seniorenheim in Honau, die Grundschule in Reutlingen-Degerschlacht, die Familien Kapp, Klaiber und Kotchoubey sowie eine Motette in der Stiftskirche. Vorzüglich untergebracht waren unsere Gäste bei Erdmute und Herrmann Bück. 

Das touristische Programm enthielt natürlich einen Stadtbummel durch Tübingen und Reutlingen; außerdem konnten sie eine Führung in der Burg Hohenzollern erleben. Den größten Eindruck hat unseren Gästen der Besuch im Seniorenzentrum in Honau gemacht. „Ich habe nicht gedacht, dass eine Gesellschaft einen solchen Respekt vor älteren Menschen, eine solche Sorge für sie aufweisen kann. Das ist ein wahres Zeichen der christlichen Kultur“, sagte Jozas anschließend.

Jozas und seine Frau erzählten uns während dieser Zeit sehr viel über ihr Leben und Schaffen. Einer der Schwerpunkte ist die Arbeit mit Kindern, viele davon aus den Familien von alkohol- oder drogenabhängigen Eltern. Die Gemeinde organisiert kleine Spiele, an denen jedes Kind aus der Stadt teilnehmen und etwas gewinnen kann, vorausgesetzt, dass es seine Adresse hinterlässt. Dadurch kann die Gemeinde diese Kinder wieder ansprechen. Viktoria erinnert sich an ein Mädchen, das sie auf diese Weise kennen gelernt haben. Sie haben ihm zum Geburtstag ein kleines Geschenk gemacht und eine Karte geschrieben, in der sie das Kind mit der Koseform seines Namens ansprachen. Das Mädchen sagte, sie hatte noch nie davor einen Glückwunsch zum Geburtstag bekommen, und noch niemand hatte sie mit dem Kosenamen genannt. Es gibt Kinder, die erst in der christlichen Gemeinde überhaupt erfahren, dass sie geliebt werden können.

Am Dienstagnachmittag machten sich Jozas und Viktoria auf den Heimweg. Die Rückfahrt dauerte „nur“ 30 Stunden. Jozas sagte, sie haben Gottes Geleit gespürt. Wir wünschen der Gemeinde in Sowjetsk Gottes Segen und hoffen auf weitere Begegnungen.

Boris Kotchoubey

Die EmK-Weltmission unterstützt den Gemeindeaufbau in der Region Kaliningrad-Oblast mit 4.000 Euro pro Jahr